Wolke mit Flugzeugflügel und Sonne

Soll ich Eltern auf ihre Sternenkinder ansprechen?

Falsche Worte verletzen, aber Wunden heilen.

Warum ich mit Worten lieber verletzt werde, als dass meine Kinder verschwiegen werden, liegt daran, dass ich Worten vertraue. So scharf und verletzend Worte sein können, so können sie noch mehr heilen und stärken. Das ist der Unterschied zwischen einem Unfall mit Verletzung und dem Abschied vom Kind. Letzteres heilt nicht, die Liebe als Trauer bleibt.

„Soll ich es ansprechen oder lasse ich es lieber sein?“

Diese Frage habe ich mir vor meinen Sternenkindern gestellt, wenn meinem Umfeld etwas Schlimmes widerfahren ist. Seit meinen Sternenkindern spreche ich alles an, denn ich weiß, selbst wenn ich es nicht schaffen sollte, mein Mitgefühl wertschätzend zu formulieren: Etwas Falsches ist immer noch besser, als gar nichts zu sagen. Eine Verletzung kann heilen. Was es nicht einfacher oder leichter machen soll. Verletzungen schmerzen sehr und dauern sehr lange oder bleiben, wenn ich mich nicht darum kümmere.

Schweigen machte mich traurig und macht mich wütend

Drei, vier Monate nachdem ich meine Tochter tot geboren hatte, empfingen drei Pärchen im Bekanntenkreis ihre gesunden Kinder. Sie waren zu uns eingeladen und das Treffen fühlte sich bald an wie immer. Ich fragte sie irgendwann nach ihren Geburten, wie sie verlaufen sind und wie sich die Mutter nun körperlich fühlten.

Sie wechselten Blicke und anfangs erzählten sie zögerlich, daher fragte ich fleißig nach und lächelte viel, um ihnen nicht nur das Gefühl zu geben, sondern zu zeigen, wie ich mich wirklich fühlte. Ich freue mich über gesunde und glückliche Geburten. Offen gesagt glaube ich, dass ich mich mehr freue, als die Eltern selbst, gerade weil ich weiß, wie eine stille Geburt ist.

Wir gingen also sehr ins Detail und sie erzählten immer der Reihe nach. Wir saßen im Kreis. Ich auch, aber mich überging jede Fragerunde. Mich fragte keine, wie meine Wehen, meine Gefühle oder meine Hebamme waren und wie es mir erging. Vielleicht weil sie es nicht hören wollten, nicht hören konnten, sich unsicher fühlten, ich weiß es nicht. Ich war jedenfalls einfach nur traurig und fühlte mich ausgeschlossen.

Weil wir insgesamt acht Leute waren und ich nicht schlagfertig genug bin, habe ich in dem Moment nichts gesagt. Es wirkte aber sehr lange nach. Und es war nicht die einzige Situation dieser Art. Es wirkte und wirkte und wirkte. Und machte mich wütender und wütender und wütender. Genau das bedeutete Tabu. Ich gehörte nicht dazu. Zählte meine Geburt nicht? War es ihnen zu persönlich, emotional? Können sie selbst nicht damit umgehen?

Mein Traum von offenen Worten

Wenn wir eine offene, gesprächige, wertschätzende, wortreiche Trauerkultur hätten, wie es in vielen anderen Ländern und den meisten Menschen weltweit (gemessen an der Weltbevölkerung) der Fall wäre, wären wir nicht verunsichert. Wir wüssten, was zu tun ist, im Sinne von, welche Worte für Mitgefühl gewählt werden können.

Wenn wir (noch) nicht darüber sprechen wollen würden, würden wir vielleicht nicht unbedingt tanzen oder singen, wie es in Simbabwe der Fall ist, dafür müsste sich die deutsche Kultur komplett ändern und das soll sie ja überhaupt nicht. Ich liebe die deutsche Kultur.

Zu ihr gehören Worte. Der deutsche Wortschatz ist so umfangreich und präzise. Deutsche Dichtende und Denkende bedienten sich so wertschätzend wie energiereich und wirkungsstark daran. Wenn wir also auch über Sternenkinder so eifrig und fleißig reden würden, wie so über vieles andere, es wäre für beide Seiten einfacher. Und die deutsche Sprache bietet Worte und wir wüssten sie zu verwenden.

Beide Seiten würden einfach klären, was Sache ist und fertig. Dann käme es nicht zu Situationen, die einen auch noch zwischenmenschlich traurig machen, wenn wir vom Leben schon genug herausgefordert wären.

Schweigen hat mich enttäuscht und mehr als überrascht.

Jedenfalls waren es in diesem Falle damals, keine engen Freunde von mir, aber selbst bei engen Freunden hatte ich ähnliche Situationen. Ich war sehr enttäuscht, als ich auch von engen Freunden nicht nach meinen Sternenkindern und gefragt wurde. Ich könnte viele Beispiele aufführen und wähle das Erste:

Das erste Mal nach der Geburt unserer Sternentochter sollte ich einen engen Freund wieder sehen. Es war komisch, ihn nach Wochen zum ersten Mal zu treffen. Ich war sehr aufgeregt, weil es eine der ersten Begegnungen nach dem Abschied war.

Er war einer jener Freunde, mit denen ich über alles sprechen, lachen und schweigen konnte. Einer jener, mit dem ich mich sehr wohlfühlte, mit dem wir schon super viel Schmarren gemacht und auch sehr intensive und private Gespräche geführt haben.

Er weiß, dass wir unser Kind verabschieden mussten. Er wusste von meinem Mann, dass ich erst einmal nicht erreichbar war. Er wusste, dass wir uns eine Auszeit im Urlaub genommen hatten und er hatte, mitbekommen, wie der Alltag bei uns weiterging. Als er an der Tür klingelte, fiel die Umarmung länger und intensiver aus als sonst und nach einem üblichen Small Talk erzählte er von vielem und fragte viel, aber nichts davon hatte mit unserer Tochter zu tun.

Nach drei Stunden konnte und wollte ich nichts mehr hören von Arbeit, Alltag oder sonstigen Dingen, die nichts mit der Liebe und Trauer, um ein verstorbenes Familienmitglied zu tun hatten.

Ich sprach es direkt an, nicht nur wie ich mich fühlte, sondern auch wie ich sein Verhalten empfand und ich, wie es mir anders gewünscht hätte, auch dass ich den Eindruck hatte, als interessiere ihn ein so wichtiges Ereignis in meinem Leben nicht oder er wolle es übergehen.

„Danke, danke, danke,“ waren seine Worte, als er mich umarmte. Er hätte sich seit Tagen vor dem Treffen überlegt, ob und wie er reagieren sollte. Er meinte, er wolle uns nicht verletzen und uns entscheiden lassen. Ähnliches hörte ich oft.

Warum Schweigen wir wirklich?

Noch einmal deutlich zwei Jahre später, als ich einen Freund darauf ansprach, warum er nie etwas sagte, und der meinte: „Ja klar, man will da ja nichts hervorholen und nicht verletzen, ist ja klar, dass man nichts sagt.“

Wer oder was ist „man?“ Wir sind wohl alle generell verschieden, warum sollte das in der Trauer nicht gelten. „Hervorholen?“ Meine Kinder sind nie so verräumt, dass sie nicht präsent wären. Es sind tote Kinder. Keine Unfälle oder Krankheiten, die sich verändern. Und wenn wer seine Sternenkinder verdrängt, dann lassen sie sich auch nicht von einer anderen Person durch einen Spruch in den Mittelpunkt setzen.

Geht es wirklich darum, mich, die Betroffene nicht zu verletzen? Oder geht es darum, dass die andere Person zu unsicher ist und/oder selbst schlicht keine Lust, Nerven oder Energie für ein Thema, wie den Tod eines Kindes hat, das in Teilen der deutschen Bevölkerung nicht mal als Kind zählt?

Warum der 1. Schritt auf die Sterneneltern zu sein sollte und nicht anders herum.

Ich bin richtig genervt von Einstellungen wie, „die Eltern sollen selbst entscheiden, ich warte lieber ab, wie die Eltern reagieren und passe mich dann an, ist ja jede Person anders.“ Das gibt mir als Betroffene das Gefühl, ich müsste mich um die anderen kümmern. Ich muss auf sie zugehen. Ich muss schauen, aus welchen Gründen sie etwas sagen oder nichts sagen.

Es ist nur so, ich sehe vielleicht nach außen wie immer aus. Der Tod des eigenen Kindes höhlt innerlich aber aus und um mich als Mutter ohne Kind an der Hand zu neu zu erfinden, finden oder zu verstehen, wäre es schön, wenn ich das mit Worten, Nähe, Liebe des Umfeldes hinbekommen dürfte.

Bildhaft gesprochen, es wäre schön, wenn wir einer Person die fällt, die Hand reichen. Anstatt sie nur anzusehen und zu warten, dass sie einem exakt sagt, was ihr fehlt und wie ihr nun zu helfen sei.

Das ist für Betroffene noch lange nach dem Abschied nicht möglich. Natürlich ist es auch für das Umfeld schwer zu wissen, was zu sagen ist, aber grundsätzlich gilt, die Hand zu reichen, auch wenn wer zu fest ziehen sollte oder mich nicht hoch bekommt. Klar, ist das zunächst sehr bitter.

Falsches hat mich verletzt, beleidigt und mehr als verstimmt

Eine Freundin meinte bei meinem Sohn, also meinem zweiten Sternenkind: „Wenn du irgendwas brauchst, wenn ich dich irgendwie unterstützen kann, lasse es mich wissen. Wir können immer darüber reden.“ Ich wusste, dass sie darüber reden wollte. Viele wollen gerne persönlich über Dinge reden.

Ich schreibe lieber. Ich brauche oft Zeit für mich allein. Ich muss erst mal für mich alles durchdenken, bevor ich sprechen kann. Ich möchte lange erst mal nicht reden. Oder nur sehr punktuell und dann ganz gezielt mit sehr bestimmten Personen. Aber sie hatte ja allgemein gefragt und ich wusste, wie sie mich unterstützen konnte.

Ich wollte ihr die Bilder meines Sohnes zeigen. Das war mir da einfach wichtig. Er wurde im Krankenhaus so anders behandelt als seine Schwester im Jahr zuvor. Und ich fühlte mich bei ihm anders und eigentlich weiß ich es nicht, aber ich wollte ihn einfach zeigen. Wie süß und chillig er wie ein kleines Brummbärchen auf seinem Sternchenkissen lag.

Warum auch immer, fragte ich sie, ob ich ihr die Fotos zeigen darf. Wahrscheinlich wusste mein Unterbewusstsein, dass sich das in der deutschen Gesellschaft so gehörte. Anders wo (und ja auch von Einigen in Deutschland) werde ich direkt danach gefragt.

Ihre Antwort war: „Oh nein, sorry. Als du mir letztes Jahr die Geburtskarte und das Sterbekärtchen von deiner Tochter geschickt hast, hatte ich einige Tage Albträume. Das will ich mir nicht noch einmal antun. Das geht mir so nah, das ist nichts für mich.“

Mir geht der Abschied meiner Kinder auch nah. Und ganz ehrlich, für mich ist das auch nichts. Also so ein lebenslanges Leben mit toten Kindern würde ich gerne gegen einige Tage eintauschen.

Ich brach für drei Jahre den Kontakt ab. Die Freundschaft war für mich nichts. Die Aussage ging mir zu nah.

Wie positiv falsche Worte wirken können

Heute haben wir wieder Kontakt. Wir kommen besser miteinander klar als zuvor. Weil wir uns besser verstehen. Weil wir miteinander geredet haben. Nicht einmal direkt darüber.

In einem anderen Kontext hat sie mir erzählt, welche Erfahrungen sie mit toten Kindern hat. Und ich hatte viel mehr Erfahrung im Leben mit meinen toten Kindern. Nahm vieles nicht mehr persönlich und bin viel entspannter, weil ich weiß, wie mich Blickwinkel unterstützen.

Ich kann nun viel besser damit umgehen, dass nicht alle Menschen immer mit Sternenkindern können, gerade, weil sie sehr viel Liebe empfinden. Sie versteht mittlerweile, wie wichtig es für sie selbst ist, sich allen Kindern zu stellen und wie sie Kraft und Vertrauen aus Abschieden für Neuanfänge schöpfen kann. Und der Abschied von Sternenkindern ist ein Neuanfang im Leben der Eltern.

Anders war es mit einer Freundin aus dem Bekanntenkreis meiner Eltern. Sie stand mir seit meiner Kindheit nahe und ist sehr offen. Nach der Geburt unseres toten Sohnes, unseres zweiten Sternenkindes, meinte sie: „Das kann doch nicht sein. Von ein Mal hab ich ja schon öfter gehört. Aber gleich zwei Mal hintereinander, was hast du denn wieder gemacht, dass es so kam?“

Mit ihr habe ich bis heute keinen Kontakt. Ich bin aber heute überzeugt, dass sie nicht meinte, was sie sagte. Zumindest nicht gänzlich. Aber ich verspüre keinen Antrieb meine Kränkung mit Worten zu heilen, es zu klären, es ins Reine bringen.

Es fühlte sich eher so an als passen diese Aussagen zu vielen anderen Einstellungen von ihr, die für mich immer schon schwierig waren. Wir waren nie komplett auf einer Wellenlänge. Was auch nicht sein muss, genauso wenig, wie es sein muss, dann Zeit miteinander oder füreinander aufzuwenden. Das Problem war also nicht, dass sie etwas Falsches sagte, das Problem war die Qualität oder der Mehrwert unserer Beziehung an sich.

Warum ist Falsches, also besser als gar nichts zu sagen?

Was ich aus diesen und noch viel mehr Erfahrungen begriffen habe: Der Wahrheit sind wir immer nur auf der Spur, um uns aber der Realität unserer Mitmenschen bewusst zu werden, die Welt aus ihren Blickwinkeln sehen zu können und ihre Meinung einzuordnen haben wir nur Worte. Also lasst uns Worte nutzen.

Mit Rosinen picken klappt das nicht. Also nur etwas sagen, wenn wir uns sicher sind, wenn wir es wertschätzend können. Das wären dann einseitige Realitäten, Blickwinkel und Meinungen, wodurch wir uns selbst so viel Vielseitigkeit verwehren würden.

Also müssen wir in den sauren Apfel beißen und auch Falsches akzeptieren. Aber es heißt doch: Wenn dir das Leben Zitronen schenkt, mach Limonade daraus. Wir können auch über das Falsche sprechen, es korrigieren und uns mitteilen, was denn die richtigen Worte sein könnten.

Und wenn trotzdem etwas „Falsches“ gesagt wird, können wir uns auch in Vertrauen üben. Vielleicht hört es sich falsch an, aber irgendwann merken wir, dass es aus dem Herzen kam, wertschätzend war und wir auch von dieser Liebe oder diesem Mitgefühl profitieren können.

Wir können uns alle Zeit der Welt nehmen, die wir zum Heilen brauchen, und wenn nie der richtige Zeitpunkt kommt, ist es so. Dann lag die Verletzung aber vielleicht nicht an den Worten selbst, sondern die Person hatte vielleicht davor schon keinen richtigen Platz im eigenen Leben, oder?

Meine Antwort auf die Frage: Soll ich Eltern auf ihre Sternenkinder ansprechen? Lautet ganz klar: Ja!

Nun stellt sich vielleicht die Frage: Wie spreche ich Eltern auf ihre Sternenkinder an? Das kannst du hier nachlesen: 10 Ideen, Eltern auf ihre Sternenkinder anzusprechen.

Was allem zugrunde liegt, ist die Frage: Warum sprechen wir Eltern nicht auf ihre Sternenkindern an? Das ist hier nachzulesen.

Schreibe mir gerne deine Antwort auf die Frage an:

tanja@sternenkinder.org

1 Kommentar zu „Soll ich Eltern auf ihre Sternenkinder ansprechen?“

  1. Pingback: Eltern auf Sternenkinder ansprechen: Reden oder Schweigen? – Sternenkinder

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