Marion Glück mit ihrem Buch

Vater, Mutter, Sternenkinder: Marion Glück im Interview

Interview mit Marion Glück: Offizierin, Coach und Autorin von zwei sehr konkreten, liebevollen und wertvollen Büchern über ihre Sternenkinder:

Ein Interview mit Marion Glück. Geführt von Tanja Wirnitzer

Ab wann ist ein Mann Vater?

Selbstbestimmung der Frau ist dir sehr wichtig. Ab wann beginnt und endet deiner Meinung nach für einen Mann die Verantwortung und das Recht als Vater?

Männer haben nicht das Recht ihrer schwangeren Frau zu sagen, sie soll sich nicht so anstellen. Nein, Spaß beiseite. Männer sind Väter, wenn Eizelle und Samenzelle verschmelzen und von da an sollten sie die gleichen Rechte haben. Auch wenn es sich dann vielleicht noch nicht so anfühlt, wächst ihr Kind heran.

Möglichkeiten für Väter in der Schwangerschaft

Sie sollten bei Untersuchungen dabei sein. Zum einen sind sie so vielleicht eine Unterstützung für ihre Frau und zum anderen besteht ggf. eine engere Bindung zu ihrem Kind, weil sie es schon auf dem Ultraschallmonitor sehen und die Herztöne hören. 

Bei einem pränatalen Befund haben sie genauso das Recht zu trauern, sich Informationen zu besorgen und ihre Gefühle auszusprechen.

Sie haben definitiv das Recht sich Hilfe zu holen und sollten davon auch Gebrauch machen. Hier kann ich mir durchaus einen großen Unsicherheitsfaktor vorstellen, denn darf der Mann auch (vermeidlich) schwach sein?

Ein Dilemma in der Schwangerschaft bei Sternenkindern

Männer sollten bei einem pränatalen Befund ebenfalls eine Entscheidung für sich selbst treffen, wobei sie meiner Meinung nach nicht das Recht haben, über den Körper der Frau zu entscheiden. Und hier wird es dann schwierig. Die Frau entscheidet für sich. Im besten Fall entscheiden beide gemeinsam und kommen zu einem übereinstimmenden Schluss. Im schlechtesten Fall gibt es keine übereinstimmende Meinung.

Das ist leider ein perfektes Beispiel für den Unterschied zwischen einem Dilemma und einem Problem. Letzteres lässt sich lösen, aber für ein Dilemma führt kein Weg ans gewünschte Ziel. Es hilft nur, sich neu auszurichten. Welche Tipps hast du für im Falle eines Dilemmas?

Lösung für ein Elterndilemma in der Schwangerschaft

Dann ist es wichtig, miteinander zu sprechen und Lösungen zu finden. Hier kenne ich mich im rechtlichen Rahmen nicht genau aus. Ich hatte mir damals Gedanken gemacht, wie es bei uns hätte aussehen können, bei unterschiedlichen Meinungen. Mein Weg wären Gespräche mit Juristen (Anwalt/Notar) und Mitarbeiter:innen des Jugendamtes gewesen (in Bezug auf Sorgerecht, Vaterschaftsanerkennung, Unterhalt und Co).

Hier ist für mich besonders entscheidend, dass bei der Frage, ob eine Schwangerschaft weitergeführt wird, oder sie abgebrochen wird, beide Elternteile, die gleichen Mitspracherecht, das gleiche Recht auf Meinung, Gefühle, Worte haben. Was für mich nicht bedeutet, dass eine Meinung, eine Entscheidung nach sich ziehen kann. 

Die zeitlose Herausforderung für Väter: Reden über Gefühle und so

An dieser Stelle erzählen viele Eltern, dass es für sie eine große Herausforderung ist einen Weg zu finden, ihre Gefühle und Meinung zu formulieren. Als Marineoffizierin hast du dich lange in einer Männerdomäne bewegt. Was ist für dich die Hauptursache, warum Männer und Frauen hier scheinbar anders sind?

Ich habe das Gefühl, dass Männer im traditionellen Rollenbild verhaftet sind. Das wird gesellschaftlich konditioniert.

Der “Ein Indianer kennt keinen Schmerz“-Stil.

“Du musst stark sein. Du bis die Schulter zum anlehnen.” usw.

Das kann schon dafür sorgen, dass der Mann in diesen Situationen unsicher wird.

Wenn es dann noch Macho-Sprüche von außen gibt, schwierig.

Wenn der Mann selbst vorher mit diesen Sprüchen um sich geworfen hat, ist das Gefängnis perfekt.

Ich kenne das aus der Depression. „Alles Simulanten“ sagten die Kameraden. Da war es dann schwierig, wenn Man(n) auf einmal auf der anderen Seite saß.

Frauen haben diese Schwächen durchaus auch. Sie haben nur andere Sprüche zu hören bekommen „Stell dich nicht so an. Heulsuse. Mach kein Drama draus.”

Ab wann beginnt der Mensch zu leben?

Nicht nur im Unterricht mit meinen Schulkindern, auch in der Gesellschaft gibt es viele Meinungen über die Tatsache, wann menschliches Leben beginnt: Ab Zeugung, ab Herzschlag, ab Hirnfunktion, ab Schmerzempfinden, ab Lebensfähigkeit, ab „Geburt“, wie siehst du das?

Da bin ich da ganz bei dir. Ab der ersten Zellteilung. Der Mensch ist bereits da und er entwickelt sich zu einem lebensfähigen Wesen (im besten Fall). Ich hatte mir vor Loreley nie darüber Gedanken gemacht, ab wann ich eigentlich Mutter bin.

Dieses Bewusstsein kam erst mit meiner Tochter und auch da fiel mir erst auf, wie fehlerhaft unsere Sprache ist. Ein paar typische Fehlvorstellungen:

„Bald sind wir drei“

„Wenn das Kind endlich auf der Welt ist.“

„Ihr erwartet ein Kind.“

Diese Aussagen sind aus meiner Perspektive alle falsch, denn es ist schon da.

„Du wirst Mutter.“ ich bin es bereits, weil ich mein Baby schon in mir trage. Das Kind ist eben nicht mehr „unterwegs“, sondern schon eingezogen. Ich bin Mutter und mein Kind ist ein Kind, auch wenn medizinische Fachkräfte es „Fötus“ oder „Embryo“ oder „Leibesfrucht“ nennen. 

Welche Namen haben Menschen?

Du schreibst, wir sollten unseren Kinder Namen geben. Für mich ist das auch sehr wichtig. Meine Sternenkinder haben, um sie wie jeden anderen Menschen auch zu benennen. Warum haben die Geschwister vor Loreley keine Namen?

Unser Sohn hat einen Namen ;), doch er ist das Baby nach Loreley. Durch Loreley kam erst das Bewusstsein. Die anderen Geschwister nannte ich „Baby“. Ich fühlte mich jedoch vor Loreley nicht als Mutter. Da fehlte mir Bewusstsein über das Sein und Mensch werden.

Insofern habe ich durch Loreley und unseren gemeinsamen Weg viel gelernt – über mich, das Leben und die Wichtigkeit von Mentaltraining, bewussten Entscheidungen und Trauerarbeit.

Sie hat dein Bewusstsein über die Mutterschaft verändert und rückblickend fühlst du dich auch nicht als Mutter von den Geschwisterchen, dass du ihnen Namen geben möchtest?

Doch ich fühle mich als Mutter aller Kinder. Es ist ein innerer Prozess und der braucht Zeit. Ich prüfe aktuell, was ich brauche. Derzeit fühlt es sich nicht so an, dass ich den Kindern Namen geben will, wohl auch, weil ich das Geschlecht nicht kenne.

Gleichzeitig spiele ich mit dem Gedanken, mir über das Standesamt die Bescheinigung über die Existenz der Kinder einzuholen.

Viele Namen für Sternenkinder

Neben den persönlichen Namen gibt es auch viele Bezeichnungen für verstorbene Kinder: Abgang, Fehlgeburt, Abbruch, Abtreibung, Totgeburt Prozesse, um nur einige zu nennen. Das Familienministerium nutzt den Begriff Sternenkindern und in den letzten Jahren scheint er sich etabliert zu haben. Wie findest du den?

Den Begriff Sternenkind finde ich einerseits schön, weil er sanft ist für die harte Bezeichnung „totes Kind“. Andererseits ist dieser Begriff wie ein Weichspüler. Manche Menschen aus dem Umfeld können weniger gut nachfühlen, warum verwaiste Eltern Zeit und Ruhe brauchen – alle Personen in ihrem Maße. Deshalb halte ich es für wichtig, ein Bild vom Kind zu haben und dem Kind einen Namen zu geben.

Von spirituellen und weltlichen Namen für Sternenkinder

Unser Name hat etwas mit unserer weltlichen Identität zu tun. Für einen selbst und für die Menschen im Umfeld macht das aus meiner Sicht einen erheblichen Unterschied. Das Umfeld versteht, was verloren gegangen ist und betrauert wird, und für einen selbst ist es der Halt von „mein Kind war wirklich da“. Gerade in den ersten Tagen nach dem Verlust war ich da unsicher, ob Loreley wirklich da war.

Was hat es mit dem Zusatz „spiritueller“ Name, bei Lorely auf sich? Wie unterscheidet er sich von einem klassischen, weltlichen Namen?

Für mich als spirituell entwickelte Frau gibt es den weltlichen Namen. Diesen suchen die Eltern aus und er steht in der Geburtsurkunde. Mir war es wichtig, dass unser Baby sehr früh einen Namen hatte. Da wir eine lange Liste hatten, lag da noch ein Weg vor uns. Sie fühlte sich wie „Loreley“ an. Sie war mein Fels in der Brandung. Da ich meinen Mann nicht drängen wollte, entschied ich mich dafür ihr den spirituellen Namen „Loreley“ zu geben. So nannte ich sie schon seit ich wusste, dass es ein Mädchen wird und weit vor dem pränatalen Befund. Eltern geben ihren ungeborenen Kindern Kosenamen, auch wenn es noch keinen finalen weltlichen Namen gibt. Für mich zeigt das, die Verbundenheit und die Liebe, die schon da ist, auch wenn das Baby noch gut behütet im Bauch der Mama ist.

Wundervoll formuliert. Noch eine letzte und sehr persönliche Frage: Bezieht sich der Name Loreley auf die Sage und du als Marineoffizierin hast dazu einen besonderen Bezug?

Es gibt so viele Geschichten und Sagen um die Loreley. Wie gesagt, ich hatte durch sie das Gefühl, mehr Stärke und Halt zu haben. Mein Fels in der Brandung. Mein persönlicher Loreley-Felsen. 

Was für ein Schlusssatz: Mein persönlicher Loreley-Felsen.

 Vielen Dank für das wertvolle Interview mit dir.

Du fühlst dich angesprochen, möchtest etwas dazu sagen oder hast weitere Fragen? Schreibe mir gerne an: tanja@sternenkinder.org

3 Kommentare zu „Vater, Mutter, Sternenkinder: Marion Glück im Interview“

  1. Pingback: SCHWERE ENTSCHEIDUNGEN MIT MARIONS METHODE LEICHT TREFFEN – Sternenkinder.org

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